Helga Ripper

LICHTSPEISEN

In den Lichtkästen Theres Cassinis treffen Resultate der Molekularküche auf das immerwährende Thema der Künstlerin, die Arbeit mit dem Körper. Narrative Elemente werden immer nur angedeutet.


Ein Feuerwerk von Farbschlieren wird in einer Fotocollage entfacht, die Beine zweier indifferenter Figuren baden darin. Collagiert werden Erfahrungen aus der Molekularküche. Cassinis Atelier für die Versuchsreihen ist die Küche als Labor, wobei die Pipette eine dominante Rolle spielt. Bei der Prozedur des Sphärisierens entstehen die mannigfaltigen Formen, die Assoziationen in alle Richtungen zulassen. Himbeeren, Mangos, Papayas und andere Früchte sind in ihren Verwandlungen die Ingredienzien, das Malmaterial. Regie führt bei der Verarbeitung der in unzähligen Experimenten erzielte Zufall, wobei der von Theres Cassini konstruierte Leuchttisch als Versuchsebene eine entscheidende Rolle spielt. Logische Konsequenz: die Montage der Fotoarbeiten in Lichtkästen, um die entsprechende Tiefenschärfe zu erhalten.

Die Lichtspeisen werden von Freunden und Kunstkritikern probiert und getestet. Obwohl sie hervorragend schmecken, bleiben Form und Inhalt rätselhaft.

Die tiefe Verunsicherung angesichts der optischen Fremdheit wird vom lichten und farbenfrohen Glanz der Objekte aufgehoben. Das Urvertrauen des Menschen gegenüber seiner Umwelt ruht auf der Kontinuität der Formen. Pflanzen werden auf Grund ihrer äußeren Merkmale identifiziert und geschmacklich eingeordnet. Die Kunst der Küche beschert Genüsse auf Kosten der ursprünglichen Eigenschaften. In der Sphärisierung wird dieser alchemistische Prozess ins Extrem getrieben.

Der Trias der drei weißschimmernden Tropfen ist der olfaktorisch fundierte Geschmack nicht anzusehen. Theres Cassini nützt im Medium der Fotografie diesen Überraschungseffekt und kombiniert ihn mit einer anderen Desillusionierung. Sie rahmt die drei Tropfen, die die Metamorphose aus dem weich-organischen in einen kristallinen Zustand durchmachen, mit Torsi menschlich anmutender Gestalten. Das Bild ist dreigeteilt, rechts die unbewegliche, mit einem Hemdchen bekleidete Puppe, bzw. ein Ausschnitt davon, auf der linken Seite eine hautlose verschmierte Gestalt in Bewegung. In einer nicht näher definierten Atmosphäre, in einem bewölkten Leerraum werden sich wandelnde Stofflichkeiten angedeutet. Dem Betrachter stellt sich immer wieder die Frage nach dem Rätsel jeder Formwerdung.

Auch die drei bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Barbiepuppen mit monströsen Frisetten, deren Bewegtheit durch sockelartige Füße gebremst wird, werden von einem Schaummonster überragt. In allen Lichtkästen präsentieren sich Montagen angerichteter, leuchtender Rätselspeisen und Dramolette der Geschlechterdifferenz. Erotische Spannungen, mythologische Anspielungen wie die drei Grazien, vibrierendes Scheinleben, drohendes Versinken in einer Welt, deren Aggregatzustände einem universellen Verdauungsprozess unterliegen, sind angerichtet.

Hier werden Gourmets durch unbekannte Erfahrungen erfreut und Kunstfreunde in ein neues Reich optischer Kompositionen entführt.

Malerische Elemente finden sich sogar nach dem gemeinsamen Mahl in den übereinander geschichteten Glastellern, die ganz in der Manier eines geschichteten Triptychons komponiert sind. Die Fotoköchin Theres Cassini lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der Genuss der ephemeren Künste von Dauer ist.