profil 20. Dez. 2002

Jenseits von Potter von Paul Yvon

Harry Potter, Molly Moon und Artemis Fowl: drei Kinder-Bestseller, die eigentlich für eskapistisch angefaulte Erwachsene gedacht waren. Nichts Neues. Aber jetzt wird auch das Kinderbuch erwachsen; es entsteht ein neues Genre von Bildbänden mit anspruchsvollster Illustration - und, wenn man Glück hat wie mit "Kewpie & Johnny" mit zauberhaften Texten: Die Illustrationen zeigen noch wenig von der Doppelbödigkeit der erzählten Geschichte; in der Natur und in Kulissen realistisch fotografierte Kinder und Katzen, im Computer mit Gewölk animiert und zusammengestellt. Ein Bildband für Kinder? Für Erwachsene? Kommt darauf an aus welcher Perspektive man die beiden Katzen Kewpie & Johnny sieht. Kinder werden die zwei Riesentiere wohl auf einer Ebene mit den winzigen Elfen erleben; höchst verschieden, aber einander gewachsen. Als Erwachsener hat man entweder Mitleid mit den Katzen oder eine Katzenallergie.
Wie die Elfen Steinbrech, Primel, Lauch, Röschen und Eichel unter ihrem Sommernachts-Traumchef Puck dem Katzenpaar auf den Leib rücken, wie Johnny im Schlaf zum selbstvergessenen Tigerelf verzaubert wird und sofort mit einer Elfe zu techteln beginnt, wie Kewpie("Kjupie") das zunächst hilflos mit ansehen muss: Das alleine ist schon eine durchaus erwachsene, leiderfahrene Geschichte.

Kitsch-Firnis . Erst mit dem Text bekommen die Bilder diesen Hauch von Verdacht, dass gleich unter dem Kitsch-Firnis eine ganz andere, bedrohliche Spannung stecken könnte. Die Bilder werden mit Bei-uns-stimmt-alles-Lächeln angeboten. Die Szenen sind geladen - aber nicht mit dem Eheglück, dem Familienwohl, nicht mit der sicheren und zufriedenen Arbeit, die diese lächelnde Idylle zunächst behauptet. Wer sehen will, ahnt Störung, vielleicht Verstörung.
"Kewpie & Johnny - Von Elfen verzaubert" (NP Buchverlag) der Wiener Foto-Künstlerin Theres Cassini ist dank der Texte ihres Mannes Franz J. Schaudy dreifach überraschend: Ein neues Genre, das die Unbehaglichkeit der Zeit in scheinbar behaglichen Bildern anzubieten wagt, ein glaubwürdiges Angebot für kindliche und erwachsene Sich-Versenker - und für dieses Segment ein Bombenerfolg: die erste ängstliche Auflage von 3000 Exemplaren war nach einer Woche ausverkauft, noch ehe sie in die Schaufenster gestapelt werden konnte; die zweite, kaum mutigere von ebenfalls nur 3000 ist auch schon wieder weg.
Auch Harry Potter reagiert auf die Unbehaglichkeit der Zeit, aber um vieles banaler: Er zaubert. Sich und andere weg- und herzuzaubern, statt die Leser zu verzaubern: eine kleine Kunst, für viele Leute geeignet. Um neben dieser kindischen Hysterie zu bestehen, braucht es schon stärkeren Tobak: Artemis Fowl nämlich, ein Scheusal in Schuluniform...


zurück zu Rezensionen - eine Auswahl