ESELSOHR Jänner 2005
Fachzeitschrift für Kinder- und Jugendliteratur

Tod in Venedig von Andrej Nefzer

Dies biographische Tierbuch entführt Leser und Betrachter ganz unverblümt in eine wundersame, magische Welt, die voll irdischer Bezüge dem Kater Johnny ein literarisches Denkmal setzen will. Zugleich wandeln wir bei diesem Ausflug in die Stadt der karnevalistischen Maskerade auf den Spuren Thomas Manns.

So, als seien sie völlig allein auf der Welt, entschwindet das Katzenpärchen, welches wir schon aus dem märchenhaften ersten Band kennen (s. ESELSOHR 1/03), durch Elfenzauber gen Süden. Wir treffen "Kewpie & Johnny in Venedig" wieder. Diese Traumreise hat einen bedrückenden Hintergrund, denn Johnny ist todkrank und seine Freundin sucht verzweifelt nach Licht und Hoffnung. In der Lagunenstadt angekommen, lassen sich die beiden bereitwillig von geheimnisvollen Tauben führen - immer auf der Suche nach Trost und Heilung - und wie in einem surrealen Gemälde vermischen sich die Realien mit Dingen und Erscheinungen, die jenseits der alltäglichen Lebenskanäle liegen. Ein lyrischer Chor weist den Weg und führt bis zum Ort der Geburt zurück. Von dort lockt sie die Turmuhr von Sankt Markus mit verheißungsvollem Ruf.

Die Nähe zu Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig" ist thematischer wie artifizieller Natur. Das Phänomen der Krankheit als Ausdrucksmittel innerer Größe oder anders herum, die Größe als Krankheit, hat Thomas Mann zeitlebens beschäftigt. Auch die todgeweihte Katze Johnny erlebt auf ihrer magischen Reise Anzeichen der Lebenssteigerung wie Momente der tiefsten Verzweiflung. Und selbst die treue Begleiterin kann sich dem Reiz manch lustvoller Begegnung nicht entziehen. Durchlebt der Schriftsteller Aschenbach bei Thomas Mann die "Raserei des Untergangs" ebenso in einem Traum entsetzt, zugleich aber fasziniert, in einer Verbindung aus Angst und Lust, so nimmt dieses Motiv hier gleichfalls die zentrale Rolle ein. Und obwohl die beiden Katzen den (Über-)Lebenskampf gemeinsam in Angriff nehmen, bleibt die Einsamkeit des Todgeweihten stets spürbar. Diese Vielschichtigkeit des Textes und seine sprachliche Virtuosität - die Lyrik und Prosa zu einem einzigen Fluss vereint - stellen eine herausragende Leistung innerhalb der Gattung Bilderbuch dar. Sie zeigen auf, dass die Grenzen zwischen Kinder- und Erwachsenenliteratur durchaus aufgehoben werden können. Kategorien, wie die des Geschmacks sollte man bei derart artifiziellen Werken ohnehin ausschließen. Und Kinder, das ist immer wieder zu beobachten, lieben das Wechselspiel aus Realität und Fiktion. Wenn sie zudem ein Faible für Kunst haben, genießen sie in diesem Buch die Feinsinnigkeit der Sprache sowie ihre Melodik. Selbst kleineren ZuhörerInnen entgeht es nicht, dass die rhythmische, versähnliche (auch in der Typographie umgesetzt) Erzählweise, die zudem immer wieder durch Gedichte garniert ist, zwei Bewusstseinsebenen vorstellt. Durch die Variationsmöglichkeiten des Vorlesenden ergeben sich hierdurch reizvolle theatralische Gestaltungsmittel, die aus dem Text ins Rollenspiel führen.
Die Ästhetisierung des Todes hat bekannntermaßen eine lange literarische Tradition, es bleibt allerdings diesem Bilderbuch vorbehalten, die lyrische Erzählung mit Bildern einzigartiger künstlerischer Prägung zu verbinden. Die Collagen und Fotografien von Theres Cassini steigern zum einen die ohnehin schon starke Eindringlichkeit des Textes, zum anderen vermitteln sie die morbide Schönheit der norditalienischen Stadt. Aus dieser Duplizität erwächst eine faszinierende Bild-Text-Synthese, die das Werk zum wohl besten Bilderbuch der Saison macht.


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