DIE BRÜCKE Oktober 2009
Lichtspeisen im MMKK
von Helga Ripper

Die in Kärnten geborene Künstlerin Theres Cassini macht mit ihren Lichtspeisen jedem Koch "Konkurrenz" - zu sehen derzeit
im Museum Moderner Kunst Kärnten



Die bunten Perlen im Begrüßungscocktail entfachen ein Feuerwerk von Fruchtessenzen in der Mundhöhle. Die kleinen Kugerln müssen mit der Zunge am Gaumen zerdrückt werden, so die Handlungsanweisung der Gastgeberin. Das gesamte Dinner ist vegetarisch und ergänzt die bisher bekannten Geschmacksrichtungen ( sauer, salzig, bitter und süss ) um eine fünfte: umami. Umami ist beispielsweise die perfekte Abrundung, wenn man Parmesan über Nudeln reibt. So schlicht geht es allerdings bei Theres Cassini nicht zu. Ihre Spaghettini aus Sojasauce und Heidelbeeren zählen zur höheren Essklasse und haben einen Suchtfaktor. Ebenfalls aus der Laborküche kommt der Preiselbeerschaum mit getrockneten Veilchenblüten, der auf der Zunge schmilzt. So könnte der Bericht eines Gastrokritikers beginnen, aber die Lichtspeisen der Theres Cassini sind nur auf Einladung zu genießen und essenzieller Teil eines seit 2 Jahren laufenden Kunstprojektes.

Die Protagonisten, meist 12 Leute, werden zu Statisten für die Künstlerin, zum Material, mit dem sie jongliert, der immer anders gestaltete Tisch wird zur Bühne. Die Speisen leuchten nicht von selbst, sie werden auf einem von der Künstlerin selbst konstruierten Tisch mit einer Lichtquelle unter der Glasplatte serviert. Herausragendes Kriterium bei allen Gerichten, die serviert werden, ist die Transparenz. Das schränkt die Auswahl der Produkte bei der Erstellung der Rezepte empfindlich ein. Inspiriert hat sie Ferran Adrià mit seiner Molekularküche, in der er mit Hilfe von chemischen Prozessen die Konsistenz von Nahrungsmitteln verändert. Als er 2007 zur documenta eingeladen wurde, diskutierte man plötzlich darüber, ob Kochen Kunst sei. Ferran Adrià entwickelt seine neuen Rezepturen 6 Monate lang in einer Werkstatt in Barcelona für sein Restaurant El Bulli, das zwei Autostunden entfernt am Strand an der Costa Brava liegt. Dort kochen 45 Köche für je 50 Gäste an 160 Abenden im Jahr.

Essen ist die älteste Form von Kommunikation, Theres Cassini hat dafür eine neue Form gefunden!

Ganz anders ist es zu Hause in der kleinen Ortschaft im Gailtal, 10 km von der italienischen Grenze entfernt, zugegangen, wo sich die Famlie, Eltern und vier Kinder, um den Tisch sammelte. Dass alle drei Mädchen „in der Kunst“ gelandet sind, kann kein Zufall sein, der Bruder jedenfalls flüchtete nach einem Architekturstudium in die Pharmazie.

Experimentiert für die Lichtspeisen wird in der Wiener Küche mit Apothekerwaage und speziellem Besteck, Spritzen und Zauberstab. Für jedes der Essen erfindet sie neue Rezepturen, die nachgekocht werden können und überdies hervorragend schmecken. Ein paar Beispiele:

TEEKUGELN
Läßt man grünen Tee 24 Stunden kalt ziehen, erhält man die Grundmasse, die mit Braunalgen vermischt aufgekocht und dann ausgekühlt wird. In ein Wasserbad mit Kalziumchlorid wird der grüne Tee eingetropft, ein

Vorgang, den man Sphärisieren nennt. Die Form bestimmt die Künstlerin, je nach Temperament läßt sie die Flüssigkeit durch eine Spritze tropfen.

SCHWALBENNEST IN KOKOS-SUPPE MIT MINZE & RED POMELO
Ausgangsmaterial für das köstlich-fruchtige Gericht ist ein Gelatinblock aus Agar Agar, den man mit Vanilleschoten aromatisiert. Erreicht der transparente Block eine feste Konsistenz, wird er nudelförmig gerieben. Dazu kommen Kokosmilch und Filets von roten Pomelos. Die Spalten der Pomelo müssen in ihre Segmente zerteilt werden, sodaß sie durchsichtig erscheinen.

PILZSPITZKEGEL MIT REISSTROHPILZEN, STOCKSCHWÄMMCHEN, CHAMPIGNONS UND KRÄUTERN
Die sautierten Pilze werden mit gelierten Essenzen in einen Spitzkegel aus Glas gefüllt und zur akrobatischen Herausforderung für die Gäste. Was man einmal an Tischsitten verinnerlicht hat, ist in diesem Augenblick zu vernachlässigen, gefordert wird die Geschicklichkeit jedes Einzelnen. Für einige Gerichte, wie auch hier, wird kein Besteck serviert. Man muß den gläsernen Spitzkegel entfernen und gleichzeitig trachten, dass man die Spitze des Kegels mit den Lippen zu fassen bekommt, das sorgt für allgemeine Belustigung, Schlürfen, Schmatzen etc. alles ist erlaubt. Das ist auch der Augenblick, in dem Theres Cassini die Kamera zur Hand nimmt. Die Dokumente des „schlechten Benehmens“ sind die sogenannten Schleck-Shots. Die Fotos werden auf dem Computer bearbeitet, da beginnt die eigentliche künstlerische Arbeit, das Malen mit Fotografie. Als Theres Cassini aus der Gerhard Richter-Ausstellung in der Albertina kam, war sie nahezu „deprimiert“, weil sie die Struktur in der Malerei mit Fotos kaum erreichen kann. „Die Fotografie ist mir zu flach“, sagt sie, „die vielen Schichten der Malerei ziehen mich an“.

LICHTKÄSTEN
Nahezu eine logische Folge, um Tiefe und Vielschichtigkeit zu erzielen sind die Lichtkästen. Die Dimensionen liegen bei 1 x 1,5 m, Tiefe etwa 30 cm. Die Herstellung ist äußerst kompliziert und Ergebnis einer längeren Versuchsreihe. Das Diapositiv wird auf eine Acrylglasscheibe montiert vor eine sandgestrahlte Glasplatte, die Lichtquellen strukturieren das Bild.

In den Lichtkästen collagiert Theres Cassini Lichtspeisen und Barbies. Durch alle Phasen ihrer künstlerischen Arbeiten zieht sich die Beschäftigung mit dem menschlichen Körper. Ideal ist das Modell Barbie 1:7. Um diese „Idealmaße“ zu zerstören, ist ihr jedes Mittel recht. So ließ sie beispielsweise für ein anderes Projekt eine 10 t Dampfwalze über das Püppchen rollen bis sie das gewünschte Ergebnis hatte (die 5t Walze konnte den widerstandfähigen Körper nicht zerstören). Als Kind besaß sie keine Barbies, wenn in den Ferien Urlauber-Kinder aus Wien im Dorf waren, spielte sie mit deren Barbies. Umso exzessiver kaufte sie dann die unterschiedlichsten Barbies auf Flohmärkten in Wien. Für das Projekt Lichtkästen werden die Barbies mit Schaummasse geformt und bandagiert. Dabei fällt auf, daß die Figuren in Ruhestellung glatt bleiben, während die bewegten Beine, Arme und Körper stark bearbeitet werden.

Die Montage der Fotoarbeiten erfolgt nach einem Prinzip, der Kombination aus einer Lichtspeise mit Figuren. Der weiße überdimensionierte Schaumhase mit den drei Grazien ist das Ergebnis eines kurzen Augenblicks. Holunderblütensaft mit Lecitinpulver vermischt ergibt einen Schaum, der alsbald in sich zusammenfällt.

LEFT–OVERS
Riesige Stapel von Glastellern, Besteckhaufen, Reste von Lichtspeisen, alles was normalerweise nach einem üppigen Dinner in der Spüle landet, wird zum Fotomaterial für die sogenannten Left-Overs. Oft ist es die morbide Ästhetik des Verfalls, die Theres Cassini zum Abdrücken verleitet. Die Fotos der Überreste werden wesentlich weniger bearbeitet als die Schleck-shots, da der malerische Aspekt der Überreste ihren Ansprüchen gehorcht. Diese Left-overs sind das Gegenteil von Stilleben, die oft statisch Obst, Früchte etc. zeigen, was die Fotomalerei der Theres Cassini auszeichnet, sind Bewegung und sprühende Lebendigkeit.

Waren die "Lichtkästen" im Rahmen einer int. Ausstellung zum Thema "Kunst und Essen" im Juni in der Galerie im Traklhaus in Salzburg,
so sind sie derzeit im MMKK zu sehen.
Zeitgenössische Fotografie. Neue Positionen aus Österreich.
1. 10. 2009 bis 31. 1. 2010.
Kuratorin: Mag. Silvie Aigner

 Fotoband CASSINIS LICHTSPEISEN, Thomas Zaunschirm, Residenz-Verlag 2008


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