Wiener Zeitung, 30 / 31. Juli 1999


BARBIE MIT ALTERSFLECKEN
Ein Gespräch mit der Künstlerin THERES CASSINI über Schönheit, Alter, Krankheit und Tod. Das Interview für die WIENER ZEITUNG führte LISA GROTZ.
Auszüge aus dem Interview.

Wiener Zeitung:
In einer Ihrer Fotoarbeiten "AIDS-RELATED DEATH" bedecken die Hände eines weiblichen Körpers den sogenannten Sonnengeflechts-Bereich.
Cassini:
In diesem Falle musste ich der Puppe die Hände brechen, wie es oft im Leben vorkommt, daß Menschen gebrochen werden, um sie gesellschaftlich anzupassen. Erst der Tod lässt bei dieser Figur die klassische alte Pose des Friedens zu, bei der die Hände behutsam gefaltet übereinander liegen. Der Titel "AIDS-RELATED DEATH" bezieht sich - wie fast alle meine Titel bei dieser Arbeit - auf realitätsbezogene Fotos des amerikanischen Künstlers Andres Serrano, der unter anderem auch in Leichenschauhäusern fotografiert hat. Ich habe einige seiner Posen in meinem Barbie-Puppen-Zyklus umgesetzt.

Wiener Zeitung:
Eine meiner Assoziationen, wenn Sie über Ihre Krankheit sprechen, ist Frida Kahlo.
Cassini:
Das ist nicht verwunderlich ... Ich bin an Skoliose erkrankt und wurde mit 16 Jahren an der Wirbelsäule operiert, wobei jeder einzelne Wirbel fixiert wurde, das heißt, ich wurde in ein Gerüst geschraubt ... Es war mir damals nicht möglich über meine Ängste zu sprechen. Jahre später erfuhr ich, daß Isabella Rossellini auch an Skoliose operiert worden war. Sie versteckte ihre Narben nicht ... dieser Mut half mir sehr.

Wiener Zeitung:
Wie kommen Sie zu Ihren Sujets, wie wählen Sie sie aus ?
Cassini:
In erster Linie will ich durch emotionale Nähe bestechen und "verstören". Ich wähle unauffällige Tragödien, wie sie sich rund um die Uhr ereignen und führe diese Szenarien in andere Materialzustände über. Ich modelliere Objekte im Miniaturmaßstab 1:6, "friere" diese Situationen ein und mache Close-ups von den Objekten.

Wiener Zeitung:
Wie erklären Sie die Abscheu, die vielen Ihrer Bilder entgegengebracht wird ?
Cassini:
Damit, daß sich die Menschen immer noch nicht mit dem eigenen Verdrängten auseinandersetzen können ... wir altern von Geburt an. Das ist ein Tabu.

Wiener Zeitung:
Haben Sie als Kind mit Barbies gespielt ?
Cassini:
Bei uns zu Hause war die Barbie verpönt. Doch hatte ich bei einer Freundin Gelegenheit, mit Barbie und Ken zu "spielen" ... In PROSTITUT AND CLIENT" versuche ich in der Fallatio-Szene ein realistisches Element einzubringen: die weibliche Dienstleistung am männlichen Glied.

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