DIE BRÜCKE Oktober 2002
Das Heile und der Alb von Maja Schlatte
Die Figurine scheint zu schweben, dreht eine klassische Pirouette.
Erst viel später durchfährt es einen: Das Spielbein ist ein Stumpf.
Solche balance akte führte Theres Cassini im Frühjahr in der
Galerie 3 vor. Jetzt schickt sie das Auge in ein Elfenreich.
Verletzungen, Verfremdungen, veränderte Barbie-Puppen mit
Metallschienen durch den Körper, die das Kreuz stützen - fernab vom
industriellen Sexfabelwesen, ihres Geschlechtes nicht beraubt, geschient, leidend,
wie Frida Kahlo... Das alles zeigte Theres Cassini in einem schwarz ausgekleidetem
Raum: ein Horrorkabinett in einem sauberen Lifestyle - Passepartout, das Hochglanzwert
um eine schmerzhafte Welt legte...
Und jetzt? Auf einem Buchcover sitzen zwei Katzen in Pose: Kewpie & Johnny,
schwarzweiß und getigert. Und von kleinen Elfen umschwebt - in Sommernachtstraumkostümen.
Kinder von Bekannten: von Theres Cassini verkleidet, dann fotografiert und mit
Fotobearbeitungsprogramm am PC zu Schwebewesen verwandelt... Das Buch Kewpie
& Johnny ...von Elfen verzaubert wurde kürzlich in Wien im Palmenhaus
vorgestellt.
Die wahre Seite der aus dem Gailtal stammenden Foto- und Objektkünstlerin?
Das Outing eines wohlgehüteten Fast-Kitsch-Geheimnisses? Ja, da waren doch
noch - neben dieser zerbrechlichen Haltung - da waren doch immer wieder kleine
Frösche oder Insekten als Haarspangen in der fast puppenhaften Frisur zu
entdecken - in dem dunkelbraunen Haar von Theres Cassini. Im seltsamen Kontrast
zu einem schönen Gesicht, das keine Spuren, aber stets ein Echo vergangener
Leiden aussendet...
Das Buch ist sicher ein Ausgleich zu sonstigen Projekten, bei denen es um harte
Realität ging... Eine heile Welt, ein Freiraum von Problemen - ja, zu Hause
habe ich meine Kitschsachen-Ecke. Meine Idyllen sind Kitschwelten.
Verlustgeschichte
Eine aufgearbeitete Verlustgeschichte ist das Buch: Kewpie verliert seinen Katzenkameraden
Johnny, ist alleine- aber da gibt´s ein Happy End - im Leben oft nicht ...
Der Text stammt von Franz Josef Schaudy (Psychologe, von dem auch viele Hörspiele
stammen) - nicht nur ein Lebenspartner, offensichtlich auch ein Welten-Teiler
von Theres Cassini.
Die Schnittstelle Zuhause und Profession lieferte auch die Hauptakteure
des Buches: Die beiden Katzen gibt`s wirklich und Theres fotografiert sie oft,
in allen möglichen und unmöglichen Posen, die eben nur Katzen liefern.
Zeichnungen wären für mich für dieses Buch nicht in Frage gekommen.
Durch die neuen Medien ist es aber möglich, in Fotografien neue Welten entstehen
zu lassen. Das habe ich mir am PC zu eigen gemacht - und für andere anschaulich
...
Und doch, inmitten der Idylle klingt in manchen Bildkompositionen etwas an, das
die Nackenhaare in Sträubbereitschaft versetz - nicht massiv, nicht vordergründig,
nicht tatsächlich, aber so im Ansatz eben... Der Katzenkopf schiebt sich
von links ins Bild und verdeckt ein bisschen bedrohlich den Elfenzauber. Oder:
eine Katze steht über einem Schneckenhaus, überdimensional, voll präsent
in ihrer Unberechenbarkeit: wird sie damit im nächsten Augenblick so brutal
spielen, dass es zerbricht?
Kulturloses Geschöpf
Reine Interpretationssache natürlich - aber durchaus als Stimmung leise wahrnehmbar.
Und diese trügt nicht. Denn das nächste Bilderbuch ist in Vorbereitung:
Und auf die Idylle folgt der Albtraum - als Thema. Die Aufnahmen werden Segmente
zeigen, wie eben im Albtraum: bekannte Situationen, aber verändert. Und es
geht um wiederkehrende Ängste wie z. B. die Erstickungsangst .. Diesmal sind
es Freunde, die sozusagen als Grundkörper herhalten müssen - nicht die
Barbie, sondern reale Menschen. Aber sie werden verfremdet, zu Trägern für
eine Aussage, wie Barbie.
Diesem kulturlosen Geschöpf habe ich versucht, Würde wiederzugeben ...
Dazu wird es Texte geben, aber nicht als fortlaufende Story, sondern Assoziationstexte
...
Und das Prinzip, das sie mit Bruno Bettelheims Aussage Märchen sind der
Spiegel unserer inneren Erfahrungen ihrem Idylle-Buch voranstellte, gilt also
auch für die Märchen-Kehrseite: die Albträume...
Ihre eigene Leidensgeschichte als junges Mädchen, das Operationen und lange
Krankenhausaufenthalte wegen Skoliose auf sich nehmen musste, hat Theres Cassini
einprägsam in verschiedenen Projekten und auch in balance akte aufarbeiten
können, ohne anklagend, jammernd oder bloß auf Selbsttherapie bedacht
zu erscheinen. Sie behandelte das Leid an sich - und nicht einfach nur ihr Leid.
Und für sich hat sie gelernt, deswegen Ihre Gegenwart mit vielen kleinen
Idyllen zu unterstützen. Bei mir gibt es richtige Inseln mit vielen Kleinigkeiten
- und jedes Detail ist mit einer Geschichte aufgeladen. Darin bewege ich mich
- wie ein Wissender mit einer Bibliothek als sicheren Hintergrund. Diese Dinge
sind wie Gerüche, assoziativ - sie sind fähig, nach Wochen etwas in
mir zu wecken.
Lustvolles Experimentieren
Eine Fähigkeit, die sich offenbar aus dem Elternhaus auf die samt und sonders
künstlerisch tätigen Geschwister und Theres übertragen hat: Das
lustvolle Experimentieren mit Vorhandenem - in diesem Fall mit den Tapetenmusterbüchern
des Vaters, Schere und Klebstoff -ist so eine assoziative Sache, die für
Theres ganz gegenwärtig ist ...
Meine beiden Schwestern und mein Bruder - wir alle arbeiten künstlerisch,
aber jeder eigenständig - und um Eigenständigkeit ringend und darauf
bedacht ... Meine Schwester Thea Wernitznig ist ins Gailtal zurückgekehrt
und arbeitet dort an ihren Grafiken, auch am Thema Verletzungen - aber eben in
ihrem eigenen Zugang ...
Und Thea Wernitznig ist als Künstlerin gewiss allein Thema genug, um nicht
gemeinsam mit Theres Cassini in einer Geschichte die Geschwister aus dem Gailtal
abgehandelt zu werden ...
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